Cho Oyu, 8201m (Tibet/Nepal)

Teil 2: Basecamp - Akklimatisation - Gipfelgang - Basecamp

28.9.: Die Nacht war fast windstill und geschneit hat’s auch nicht. Bis kurz vor vier gepennt. Herrlich dicke Luft hier unten auf 6000m... Über mir der blankpolierte Sternenhimmel mit Mondsichel, Mars und Saturn – das hektische Basecamp mit all den Allüren, Eitelkeiten und Ambitionen ist ewig weit weg. Cho Oyu – ein Modeberg? Nicht an diesem Morgen... Ein ähnliches Gefühl, wie 2002, als ich am Montblanc nachts alleine von der Tete Rousse-Hütte aufgestiegen bin. Nachher rennen hier wieder die Heerscharen vorbei. Fünf Uhr durch – die Dämmerung beginnt. Der Himalaya erwacht und ich auch. Eine Mischung aus Wiedergeburt und auftauender Eidechse... Ich würde ja gerne noch den Sonnenaufgang abwarten, aber das wäre wohl ziemlich unsozial gegenüber der Truppe im Basecamp. Vielleicht kann das BC ja noch erreichen, bevor sie einen Suchtrupp oder so was losschicken. Langsam packen. Erstes Licht auf dem Nangpai Gosum – toll! Was für eine Eiswand! Der Gipfel ist über 7300m hoch und vorgestern war der „irgendwo da unten“ – schriller Gedanke! Frühstück muss mangels Ressourcen leider ausfallen. Rein in die Schuhe – sehr erfrischend! Mit klammen Flossen den Schlafsack und die Exped zusammenquetschen. So, marschbereit! Um 6h40 geht’s ab auf die Zielgerade. Ganz langsam die Serpentinen runter. Zum fünften Mal diese Strecke – sie ist nicht kürzer geworden. Muss alle paar Schritte durchschnaufen. Ein Schlückchen Flüssigkeit wäre schon ganz nett jetzt. Die rechte Schulter zwiebelt tierisch. Runter zum Gletscher. Auf den spitzen Moränenkegel zu. Eigentlich ein traumhafter Morgen, aber meine Genussfähigkeit ist derzeit wohl geringfügig eingeschränkt. Um 7h42 der (zehnte und letzte) rituelle Stopp an der Gletscherlagune – alles gefroren, so früh am Tag. Vielleicht schaffe ich es bis 9h00 zum Serac-Stopp. Habe das Gefühl, dass ich immer langsamer werde und meine Schulter gleich explodiert. O.K. neuer Plan: Das große Gepäck wird hinter einem Serac deponiert, ich latsche zügig zum Basecamp, hole mir meinen Anschiss ab und komme später (oder morgen) zurück und hole den Rucksack ab. Die Aussicht, gleich die gefühlten 100t loszuwerden, wirkt belebend. Nächste Frage: Welches Serac-Versteck ist geeignet? Anforderung 1: Nicht vom Weg einzusehen. Anforderung 2: Eindeutig wiederzufinden. Ich verlasse den Hauptweg und latsche etwas zwischen den Gletschertürmen umher. Ah, dort ist es gut. Runter mit dem Mühlstein! Und etwas Wasser gibt’s auch noch! Halb neun. Mit leichtem Gepäck und leichtem Gemüt geht’s weiter... MIST! Da kommt jemand! Hat er mich gesehen? Dann wird er sich fragen, was ich hinter dem Serac wollte, dort nachsehen und vielleicht meinen Rucksack mopsen. Verdammich! Schnell verstecken! Oh, no – er kommt auf mich zu! Ein Sherpa bzw. ein Tibeter. Ich gehe ihm möglichst entspannt entgegen und überlege mir derweil krampfhaft, was ich denn sagen will. Doch die Dinge nehmen mal wieder eine unerwartete Wendung: Er fragt, ob ich „Klaas“ heiße... Tja, nicht eben das, was ich als Gesprächsauftakt erwartet habe. Es stellt sich heraus, dass er Chiri heißt und im Auftrag meiner Gruppe nach mir suchen soll – und ob ich vielleicht Tee möchte. Tja, möchte ich? NAKLARMÖCHTEICH! Schlagartig haben sich die Koordinaten dieses Tages verändert. Er fragt, wo ich denn mein Gepäck habe und ich gehe mit ihm zum Versteck. Er schmeißt sich den Rucksack über die Schulter und geht Richtung Hauptweg. Ich wollte doch alles schön selber ins Basecamp tragen. Nun trägt jemand anderes mein Gepäck und ich empfinde das durchaus nicht als unangenehm – na ja, verachten kann ich mich später noch... Jetzt geht’s erst mal nach Hause. Mit ziemlich gemischten Gefühlen latsche ich hinter Chiri her. Tja, ein Triumphmarsch sieht wohl etwas anders aus. Eine norwegische Expedition kommt uns entgegen. Nachdem ich ihnen meinen Gipfelgang geschildert und die entsprechenden Glückwünsche entgegen genommen habe, geht’s mir wieder etwas besser. Um kurz vor 11 stehe ich oberhalb des Basecamps. Heimatgefühle! Hier bin ich vor fünf Tagen losgegangen und habe mich gefragt, in welchem Zustand und welcher Stimmung ich hier zurückkehren würde. So, wie es jetzt ist, hatte ich jedenfalls vorher nicht auf dem Schirm...